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Wo war Junior? Diese Frage beschäftigte mich schon seit einer geraumen Weile. Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen, um nicht zu sagen in bester Stimmung. Genauso wie Gustav waren Sancta, Blaubart und meine Wenigkeit am Morgen etwas später aufgestanden. Es war ja auch eine lange Nacht gewesen. Bevor Gustav sich in seinem zerschlissenen Morgenmantel mit den niedlichen Elefantenmotiven in der Küche ein Frühstück vom Ausmaß des Angebots der VW-Werkskantine zubereitete, machte er erst einmal unsere Näpfe voll. Noch ziemlich schlaftrunken schleppten wir uns zum Trog und begannen mit dem Freßvorgang.

»Wo ist der Kleine?« fragte ich nach einiger Zeit mit vollem Mund.

Blaubart sah nach dem Aufstehen stets aus wie jemand, der einen schweren Autounfall hinter sich hatte, aus dem Wrack herausgekrochen war und, im Bemühen, andere Autofahrer auf der Straße auf seine Katastrophe aufmerksam zu machen, vom nächsten Auto überfahren wurde. Er war ein paar Jährchen älter als ich. Außerdem war der schwarz-rot-braune Maine-Coon seinerzeit von Menschen arg mißhandelt worden. In seinem ergrauten Gesicht klaffte eine verschrumpelte Augenhöhle, er war seines Schwanzes verlustig gegangen und wirkte überhaupt wie verkehrt herum angezogen. Die vielen Deformationen hatten auch auf seine Ausdrucksweise abgefärbt.

»Scheiße ja, das habe ich mich auch gerade gefragt«, brummte er. »Normalerweise ist er der erste, der den Napf leerräumt, und wir haben das Nachsehen. Aber er ist jung, das heißt, bekloppt. Vielleicht ist er in aller Herrgottsfrühe hinausgerannt und heckt wer weiß was für einen Unsinn aus.« Er hob den Kopf und warf einen grimmigen, einäugigen Blick auf das zweiflüglige Toilettenfenster, das durch die geöffnete Tür zu sehen war. Hinter der Scheibe schwebten dicke weiße Flocken vorbei. Der Schneegott hatte eine neue Schicht eingelegt. »Allerdings muß man schon mehr als jung und bekloppt sein, um bei diesem Wetter auch nur eine Pfote ins Freie zu setzen. Ja, ja, wenn man so alt ist wie ich, dann hat das unbestreitbar auch einen großen Vorteil: Man stirbt erst viel später!«

Mit einem Mal durchfuhr es mich wie ein Blitz. Die Gutenachtgeschichte über meine dramatische Vergangenheit, die ich Junior bis weit nach Mitternacht zum besten gegeben hatte, kam mir in den Sinn. Wie er mich gedrängt hatte, zu verraten, wo sich dieser verdammte Brunnen befindet, bevor ich die Geschichte überhaupt zu Ende bringen konnte! Dieser leichtsinnige Junge sollte doch nicht etwa mitten in der Nacht ... ?

Ich unterbrach das große Fressen und versuchte mich zu beruhigen. Selbst wenn er so verrückt gewesen sein sollte, gleich nach dem ersten Teil meiner biographischen Ergüsse den düsteren Ort der Anfänge aufzusuchen, konnten ihm dort nach all den Jahren keine wirklichen Gefahren mehr drohen. Alles war längst aus, vorbei und tot, nichts als ein ausgebleichter Schwarzweißfilm in meinem Schädel. Dennoch breitete sich die Sorge um meinen einzigen Helden, meinen lieben Sohn, in mir aus wie eine nach allen Richtungen auseinanderdriftende Armee giftiger Insekten. Ja, so wie ich den stets von krankhafter Neugier erfüllten Klugscheißer kannte (ein unseliges Vermächtnis seines Vaters), war er bestimmt nach der Viertel-Beichte sofort zum Ort des ehemaligen Geschehens gerannt, um sich ein eigenes Bild davon zu machen. Eine intellektuelle Art von familiärem Sensationstourismus. Aber, und dieses Aber jagte mir großen Schrecken ein, wieso war er dann nicht schon längst zurückgekehrt? Denn selbst wenn man die widrigen meteorologischen Umstände berücksichtigte, hätte er jetzt mit uns am Freßnapf stehen müssen. Eine furchtbare Ahnung bemächtigte sich meiner und schnürte mir die Kehle zu.

»Wir müssen los, Blaubart!« sagte ich.

»Wie bitte?« Sein verunfallt aussehendes Gesicht wirkte so verdattert, als hätte ich verlautbart, unsere Rasse müsse noch vor dem Homo sapiens eine Basisstation auf dem Mars errichten. Er deutete mit hilflosem Ausdruck und einer Pfote in Richtung des Klofensters, hinter dem der Schneefall an Heftigkeit zugenommen hatte.

Auch Sancta unterbrach ihr Frühstück und schaute mich besorgt an. »Bestimmt machst du dir umsonst Sorgen, Lieber«, sagte sie mit ihrer sanften Stimme. »Du weißt doch, wie flatterhaft Junior ist. Hast du schon vergessen, daß er immer mal für Tage von der Bildfläche verschwindet und dann urplötzlich wieder auftaucht? Versteh das jetzt nicht falsch, aber er ist ein junger Mann!«

Meine schlanke silberblaue Schöne mit dem gebogenen Rücken blickte mich durch wache grüne Augen mitfühlend an. Ihre hochgestellten Riesenohren signalisierten Anspannung, wo sie doch so bemüht war, mir ruhige Gelassenheit vorzugaukeln.

»Danke für das Kompliment, Liebste. Aber jetzt erzählt euch der alte Mann, was letzte Nacht vorgefallen ist, während ihr längst im Schlummer gelegen habt. Vielleicht zweifelt ihr dann auch daran, daß der Kleine kurz mal nach draußen geschlüpft ist, um einen schmucken Schneemann zu bauen.« Ich berichtete den beiden in Kurzform von meiner durch Junior erzwungenen biographischen Beichte und davon, wie er die ganze Zeit unbedingt die genaue Lage des Brunnens hatte erfahren wollen. »Ich sage ja nicht, daß ihn die bösen Geister von damals erwischt haben«, endete ich. »Aber so ein tiefer Brunnen ist rein architektonisch keine ungefährliche Anlage, auch nicht für Genossen mit seiltänzerischen Qualitäten wie wir.«

»Scheiße ja, da ist was dran«, sagte Blaubart in seinem ehrfurchtgebietenden Baß und kratzte sich den ergrauten Schädel. »Schätze, wir müssen den Kleinen wirklich suchen. Und wenn wir ihn gefunden haben, ziehe ich ihm als erstes mit der Kralle eins über die geschniegelte Visage, damit er weiß, wo der Hammer hängt. So ein Mist, und ich hatte gehofft, ich könnte wenigstens einmal im Leben während der Weihnachtstage nur meinen Arsch so nah an den Kamin schieben, bis der zu brutzeln anfängt!«

Wir liefen alle gleichzeitig in die Toilette, hechteten die Fensterbank hoch und begannen zu miauen, ein Wink an Gustav, daß er uns ins Freie entlassen möge. Und da kam er auch schon, das heißt er stampfte heran, der Alptraum aller Verfettung-der-westlichen-Welt-Apokalyptiker, und bekundete im Selbstgespräch sein Erstaunen darüber, weshalb wir bei diesem Sauwetter überhaupt hinaus wollten. Man verstand ihn natürlich schlecht, da seine Backen wie bei einem Monsterhamster bis zum Platzen vollgestopft waren mit irgendwelchen Frühstücksdelikatessen, an denen er geräuschvoll mahlte. Schließlich öffnete er das Fenster, und Eiseskälte gepaart mit umherschwirrenden Schneeflocken schlug uns entgegen, so daß es in der Tat der Überwindungskraft eines Polarforschers bedurfte, um an dem gefaßten Entschluß festzuhalten. Mit einem Seitenblick registrierte ich, daß Sancta enthusiastischer dreinschaute als ich selber.

»Nein, meine Liebe, du kommst nicht mit«, sagte ich.

»Aber wieso, Francis, ich habe den Kleinen genauso lieb wie du. Und um es etwas deutlicher zu formulieren, sollten wir wirklich in Gefahr geraten, so bin ich doch wohl die Gelenkigere von uns beiden.«

»Das weiß ich, Sancta. Dennoch könnte ich es nicht verwinden, wenn dir etwas zustieße. Außerdem muß einer von uns hier die Stellung halten. Vielleicht ist Junior in der Zwischenzeit zurück und glaubt dann wiederum seinerseits, wir wären verschollen. Jetzt mach dir mal keine Sorgen. Vermutlich hat ihn unterwegs zu dem Brunnen der starke Schneefall überrascht, und er hat sich in irgendeinem Keller verkrochen.«

Ich gab ihr einen zärtlichen Nasenstubser, bevor sie weiter protestieren konnte, und sprang dann gemeinsam mit Blaubart auf die schneebedeckte Terrasse. Hinter uns wurde das Fenster von Gustav wieder verschlossen. Ich blickte zurück und sah meine Herzensdame hinter der Scheibe ihren Sugar-Daddy giftig anfunkeln. Es sollte ihr Mißfallen demonstrieren. Doch las ich hinter ihrer empörten Fassade etwas anderes, die Furcht nämlich und die einsetzende Ahnung, daß sich das harmlos begonnene Gedenken an Gestern zu etwas Verhängnisvollem im Heute materialisieren könnte. Offen gesagt war das auch meine Vermutung.

»Na, dann wollen wir mal!« Blaubart humpelte tapfer ein paar Schritte vorwärts, um sodann abrupt innezuhalten. »Ähm ... da fällt mir gerade etwas ein.« Er schwenkte seinen kaputten Kopf mit den wie von einer hyperaktiven Schere zugefügten Narben über die vor uns befindliche Gartenlandschaft. Durch den dichten Schneeschleier trat ein Nebeleffekt ein, der das Setzkasten-Muster der zahlreichen Gartenmauern und die Rückfassaden der Gründerzeithäuser unscharf erscheinen ließ. Mal ganz abgesehen von der Kälte, die mir schon jetzt in alle Glieder kroch.

»Scheiße nein, wie soll ich sagen, Francis, aber ich habe das blöde Gefühl, daß ich das ständige Auf-und-Ab an den Mauern bis zu diesem verdammten Brunnen nicht schaffen werde. Sicher, ich kann es immer noch mit jeder Arschgeige aufnehmen, die mir krumm kommt, aber ...«

»Du brauchst nicht weiterzureden, Blaubart«, sagte ich. »Ich habe da, ähm, auch ein Problem – nämlich dasselbe wie du. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es mir noch gelingt, bis zu unserem Zielort die Mauern auf- und abzuhüpfen. Du hattest zwar recht: Wenn man so alt wird wie wir, dann hat das tatsächlich den unbestreitbaren Vorteil, daß man erst viel später stirbt. Aber um welchen Preis? Deshalb habe ich mir eine weniger strapaziöse Route einfallen lassen. Wenn auch eine weit gefährlichere.«

Ich machte kehrt und eilte zu der dachwärts im Zickzack verlaufenden hölzernen Außentreppe an der Rückfassade. Sie diente sowohl als Feuertreppe als auch im Sommer als Hochsitz für Gustav und Archie, um bei einem Gläschen Wein die schöne Aussicht auf die Gärten zu genießen. Ich stieg die mit Schnee vollgepappten Stufen empor, während Blaubart hinter mir herhastete.

»Was hast du vor?«, rief er mir nach.

»Das kannst du dir doch denken. Wir gehen einfach den glatten Weg über die Dächer.«

»Den glatten Weg? Scheiße nein! Kannst du dir vorstellen, wie es dort oben bei dem Wetter aussieht?«

»Lebhaft. Aber kennst du eine andere Alternative?«

»Ähm ...«

»Scheiße nein! Na also.«

Als wir an dem ersten Stockwerk vorbeistreiften, sahen wir durch die halbverglaste Balkontür Archie in seinem Ebay-Lager hocken, zu dem er seine ganze Wohnung inzwischen umgestaltet hatte. Die Hälfte des Plunders bestand aus von bienenfleißigen Chinesen gefälschter Markenware. Ganze Berge von Textilien, Turnschuhen und Unterhaltungselektronik stapelten sich kunterbunt an den Wänden bis zur Decke. Dem Rest der zu ersteigernden Ware haftete etwas Kurioses an, so daß man sich unweigerlich fragte, woher man solcherlei dummes Zeug überhaupt beziehen konnte. Original-Dieter-Bohlen-Pappkameraden, Klobürsten, deren Bürstenköpfe die Gestalt von Igeln besaßen, Nofretete-Häupter aus Plastik ebenfalls made in China und und und. Die Krönung bestand aus einer aufgetürmten Pyramide Einmachgläser randvoll mit einer dubiosen Enthaarungscreme unbestimmter Herkunft. Ich jedenfalls wollte nicht derjenige sein, der sich dieses bestimmt hyperaggressive Zeug wer weiß wohin schmiert. Es war in der Tat schwer zu sagen, ob sich für diesen Tinnef auch nur ein einziger Käufer auf dem Planeten finden lassen würde, oder aber ob Archie nicht vielmehr dem Messie-Syndrom anheimgefallen war. Der innovative Ebay-Verkäufer saß im Pyjama vor seinem Notebook, und sowohl der bis zum Anschlag angespannte Gesichtsausdruck als auch der aus rotgeränderten Augen ausgesandte, fahrige Blick ließen den Betrachter inständig hoffen, daß der gute Mann sich zur Sicherheit auch die Notfallnummer der nächstgelegenen Klapsmühle im Laptop gespeichert hatte. Von den letzten Treppenstufen taten Blaubart und ich einen beherzten Sprung auf einen verrosteten Campingtisch und von da aus einen weiteren zum Gesims. Dort hangelten wir uns an der Traufe hoch und standen dann endlich auf dem Dach. Vor uns breitete sich ein schauriges und zugleich faszinierendes Panorama aus. Hinter dem Schneeschleier zogen sich die Gründerzeithäuserzeilen wie parallel verlaufende, ins Unendliche reichende Bahngleise, deren Enden sich am Horizont im Dunst verloren. Rings um uns ragten baufällig wirkende Schornsteine, Belüftungsaufsätze und Gauben wie überdimensionale Pilze in einem eingeschneiten Wald empor. Auch unsere Rücken und Köpfe waren schon von einer Schneeschicht bedeckt. Da ein Gebäude lückenlos an seinen Nachbarn anschloß, konnten wir problemlos von einem Dach zum nächsten gelangen. Haarig wurde es trotzdem wegen der extremen Rutschgefahr und des Schneefalls. Und auch unsere nicht gerade olympiaverdächtige Kondition konnte uns noch Schwierigkeiten bereiten. Zudem pfiff uns hier oben der Eiswind im Vergleich zu unten in Zehnerpotenz um die Ohren, so daß bei jedem Schritt die Gefahr bestand, daß wir auf unsere alten Tage noch das Fliegen lernen mußten.

Nichtsdestotrotz trippelte ich mit demonstrativem Elan voran und nahm die erste Dachschräge in ungefährem Kurs auf den Brunnen in Angriff. Der treue Blaubart folgte mir humpelnd und ächzend. Seine angestrengte Miene verriet schon jetzt, daß er große Mühe haben würde, diese Polarexpedition der Generation 50 plus bis zum Ende durchzustehen. Er stapfte nicht durch den Schnee, sondern schwamm geradezu darin. Wofür brauchte man einen leicht-, um nicht zu sagen, einen schwachsinnigen Sohn, wenn man einen solch treuen Freund besaß? Dieser unmögliche Junior! Wenn ich ihn je wieder zwischen die Pfoten kriegte, würde ich Blaubart zuvorkommen und ihm selber mit der Kralle eins über die geschniegelte Visage ziehen.

Nachdem wir den Gipfel des Daches erreicht hatten, gestaltete sich der Abstieg recht bequem. Wir mußten nur darauf achten, daß wir nicht über das Ziel hinausschossen, beziehungsweise über die Dachkante segelten. Der Anfang war jedenfalls gemacht. Und als wir ein paar Dächer bewältigt hatten, fanden wir unseren eigenen Rhythmus. Trotz der beschwerlichen Tour, bei der höchste Konzentration gefordert war, beschäftigte ich mich in Gedanken mit der gestrigen Nacht. An welcher Stelle der Erzählung hatte ich aufgehört? Ach ja, jetzt fiel es mir wieder ein ...

 

Von tiefem Schmerz über meine hingemeuchelten Lieben überwältigt, rannte ich zwischen Selbstmordgedanken und wildesten Rachephantasien schwankend aus dem Brunnenbecken. Der Sprint in die Röhre an dem toten Zausel vorbei war ein besinnungsloses Taumeln in der Finsternis, das ich kaum wahrnahm. Wenn es für mich überhaupt noch so etwas wie eine Verbindung zur Realität gab, dann die Gewißheit, daß ich nie mehr an diesen einst so heimeligen und nun hinter einem blutigen Vorhang versunkenen Ort zurückkehren würde. Ich weinte in einem fort und fühlte mich verflucht, da ich nun zum zweiten Mal aus dem Paradies vertrieben worden war. Die Ahnung darüber, was Schicksal ist, nahm in meinem Kopf auf tragische Weise Gestalt an. Und während mir die Tränen immer mehr die Sicht verschleierten, freundete ich mich allmählich mit der Idee an, daß ich das eine mit dem anderen verbinden könnte, nämlich die Rache mit dem Selbstmord. Es sollte mein finales Geschenk an diese Welt sein, die sich mir seit der Geburt als eine Bestie gezeigt hatte.

Draußen hatte sich das Sommergewitter inzwischen verzogen. Allein vereinzelte Wassertropfen, die von den Pflanzenblättern leise herunterglitten, und die klare Luft zeugten davon, daß hier vor einer halben Stunde noch die reinste Sintflut geherrscht hatte. Jetzt lieferte wieder das tiefblaue Sternenzelt eine grandiose Vorstellung. Die warme Temperatur war zurückgekehrt und das Zirpen der Grillen. Zwischen der chaotisch wuchernden Fauna ragte am Horizont die alte Villa düster und, wie ich empfand, hohnlachend empor wie ein alter Dämon. Wie immer brannte hinter den Fenstern Licht, geradeso, als erwarte der Hausherr um diese späte Stunde noch Besuch. Das war vielleicht gar kein abwegiger Gedanke. Vermutlich erwartete er mich tatsächlich, nachdem er die komplette Brut massakriert, aber zum Schluß leider, leider feststellen mußte, daß das letzte Leichen-Puzzlestück in seinem morbiden Gemälde noch fehlte. Er sollte sein Puzzle vollenden, vielleicht nicht um den Preis seines Lebens, aber zumindest um den seiner Augen, die ich ihm auszukratzen gedachte. Wenigstens so wollte ich Rache nehmen, bevor ich in die ewigen Jagdgründe abwanderte.

Als ich wenige Meter vor der Villa angekommen war, drang daraus ein bizarrer Ton in meine Ohren. Es war ein kaum differenzierbares Gebräu aus fremdländisch klingender, menschlicher Sprache, mannigfachen Tierlauten, recht schräger Musik und anderen Geräuschen. Das Ganze hörte sich etwa so an, als würde jemand sämtliche Platten seiner umfangreichen Sammlung auf einmal abspielen, und das auch noch rückwärts. Obwohl ich eben noch in Todesmut geschwelgt hatte, kehrte bei dieser babylonischen Geräuschkulisse die Furcht zurück, und meine Fellhaare richteten sich igelgleich auf. Wer weiß, vielleicht feierte die Blutsäufer-Internationale da drin gerade ihr alljährliches Betriebsfest und konnte echt ungemütlich werden, wenn man das Schild mit der Aufschrift Bitte nicht stören draußen an der Tür mißachtete.

Trotz des rasenden Bumm-Bumm meines Herzens sprang ich leise auf die Veranda und näherte mich auf Pfotenspitzen einem der erleuchteten Fenster. Ein riesenhafter Schatten huschte dahinter nervös hin und her. Dieser Anblick gepaart mit den anschwellenden Teufelsgeräuschen ließen meinen anvisierten Opfertod immer schneller in den Hintergrund rücken. Das Herz rutschte mir nicht nur in die Hose, es kam mir schon fast hinten wieder heraus. Dennoch behielt ich einigermaßen die Nerven. Drauf und dran, auf die Fensterbank zu springen, um dann durch die Scheibe ins Hausinnere zu linsen, zog plötzlich eine andere Alternative meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich bemerkte in einiger Entfernung ein nach oben zum ersten Stockwerk führendes Regenrohr, um das sich eine Kletterpflanze mit dickem Astwerk spiralförmig gewunden hatte. Es war ein Klacks für mich, sie hinaufzukraxeln. Da die Fenster in dieser Ebene stark beschädigt und die Scheiben teilweise zu Bruch gegangen waren, konnte ich von dort mit gebührender Vorsicht den Einstieg ins Haus wagen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, dem Ungeheuer unten direkt in die Arme zu laufen. So konnte ich mich mit dem brenzligen Terrain erst einmal vertraut machen.

Gedacht, getan. Mit der Leichtigkeit eines Freeclimbing-Asses krallte ich mich an der Kletterpflanze empor und stand bald vor der leicht gewölbten, mit Schieferschindeln bedeckten Fassade des ersten Stockwerks. Durch ein Fenster, dessen Glas in der Mitte zerbrochen war, riskierte ich einen Blick hinein. Das Innere unterschied sich eigentlich kaum vom verwahrlosten Äußeren. Räume, deren hohe Türen sperrangelweit offenstanden und die gerammelt voll waren mit verstaubtem, antiquarischen Mobiliar. Meterlange Regale gefüllt mit von Staub und Spinnweben überzogenen Büchern, zumeist erlesene Lederbände. Vergilbte, von Mäusen zernagte Papiere, zu losen Seiten auseinandergebrochene Bücher und umgekippte alte Pokale, Porzellanfiguren, ja sogar antike Standuhren lagen auf dem schmutzigen Boden. Hätte nicht in jedem der Räume eine Funzel von einer herabbaumelnden, nackten Glühbirne für ein bißchen Helligkeit gesorgt, hätte man tatsächlich meinen können, der Ort sei allein von Gespenstern bewohnt.

Ich schlüpfte durch das kaputte Fenster ins Haus und lief über den vom allgegenwärtigen Müll übersäten Dielenboden durch die Zimmer. Im schwachen Licht wirkte alles wie eine verlassene Rumpelkammer, wären da nicht die von unten aufsteigenden, wie durch einen Quirl gejagten Stimmen und Geräusche gewesen, die hier in unmittelbarer Nähe enorm an Lautstärke zugenommen hatten. Schließlich nahm ich allen Mut zusammen und schlich zu einer Tür, die auf einen Flur mit anschließender Treppe abwärts führte. Der Flur entpuppte sich als eine ausladende Galerie, die rund um das gesamte Stockwerk verlief und einen ungehinderten Blick nach unten erlaubte. Das Erdgeschoß war ein einziger Salon, und was für einer!

Voller Erstaunen spähte ich zwischen den kunstvoll geschnitzten Geländerstäben auf einen ausgedehnten Raum hinab, dessen Eindruck keineswegs nur von dem mächtigen Kamin, in dem ganze Baumstämme zu lodern schienen, und den vielen brennenden Kerzen in Kandelabern dominiert wurde. Plattenspieler, Kassettendecks, dickbauchige Fernseher, Tonband- und Videogeräte, standen in solcher Hülle und Fiille und so dicht an dicht, daß man sich im Lager eines Elektronikfachgeschäfts wähnte. Damals galten diese Geräte noch als das multimediale Nonplusultra. Der Ort war vollgestopft mit dem Zeug, das bisweilen Inseln und Hügel bildete und sich schier unendlich ausbreitete. Und alles befand sich in Betrieb, lief ohne Unterbrechung.

Doch der Inhalt dieses audiovisuellen Chaos war, wenn mich nicht alles täuschte, der Kern seiner selbst: Kommunikation. Und zwar in jeder Art und Dimension. Da schallten von den Tonbändern Gesänge von Buschmenschen, gurgelten seltene Sprachen und Dialekte aus vergessenen Schellackplatten, zwitscherten Vögel, brüllten Löwen und kreischten Affen aus den Kassettenrecordern. Auf den Monitoren flimmerten kuriose Übungsfilme für Sprachbehinderte oder Aufnahmen von Menschen, die perfekt Tierlaute nachahmten. All dieses Plappern, Jaulen, Grölen und Schnattern vermischte sich zu einem unheimlichen Radau, der mir schier die Sinne raubte.

Inmitten der sonderbaren Szenerie stand der Hauptdarsteller, der äußerlich seiner Umgebung in nichts nachstand. Es handelte sich um einen Greis. Allerdings wahrlich um keinen, der so wirkte, als erfreue er sich nach der Verrentung nur noch an seiner beeindruckenden Rheumadecken-Kollektion. Er war mit einem kaftanartigen, düsteren Gewand bekleidet, das jedoch seine kräftig gebaute, großgewachsene Gestalt kaum verbergen konnte. Vor dem von scharfkantigen Falten überzogenen, immer noch von pulsierender Energie beseelten Gesicht wedelten einzelne Strähnen seiner weit über die Schultern reichenden Haare. Sie waren ergraut, doch funkelten sie imposant wie bei einem alten Indianer. Er besaß eine eindrucksvolle Adlernase, kobaltblaue Augen und einen wie von einem Visagisten purpurrot geschminkten, breiten Mund. Alles in allem vermittelte der alte Knabe den Eindruck, als wäre der Lebensherbst nicht mehr als ein vernachlässigbares Handicap, das es durch die Kraft des Willens zu überwinden galt.

Weniger imposant sah freilich das aus, was er inmitten des Multimedia-Gaus veranstaltete. Und damit war auch das Rätsel gelöst, weshalb alle Geräte bis zum Anschlag aufgedreht waren. Der Hausherr hielt sich ein altmodisches Hörrohr ans Ohr, das sich von der dünnen Spitze am Gehörgang zu einem gewaltigen Trichter nach außen vergrößerte. Damit eilte er von einem Radaumacher zum anderen, was etwa so aussah, als schwebe Graf Dracula in Pelerine durch seine Gruft, und lauschte in den jeweiligen Lautsprecher hinein. Sodann notierte er sich mit einem antiquierten Griffel etwas auf einen Schreibblock und sputete danach zum nächsten Gerät.

Das Ganze sah für mich ziemlich verrückt aus, und mit Sicherheit hatte ich auch einen Verrückten vor beziehungsweise unter mir. Dennoch kamen mir wieder die scheußlichen Bilder aus dem Brunnen in den Sinn, die dieser Verrückte zu verantworten hatte: Madam, Eloi, der rote Zausel und all die anderen Dudes, wie sie in grotesk verrenkten Posen in ihrem Blut gelegen hatten. Und im Schlepptau dieser bluttriefenden Bilder kam auch der Vernichtungswille auf den langhaarigen, grauenhaften Clown zurück, der sich, wie es aussah, nach getanem Massenmord seinem abstrusen Hobby hingab. Mein ganzer Körper wurde von einer Hitze erfaßt, als müßte ich jeden Moment auseinanderbersten. Bei genauerem Hinsehen war es vollkommen irrelevant, womit sich dieser Schlächter sonst noch beschäftigte. Relevant war nur, daß er für seine Missetaten büßen mußte. Und zwar hier und jetzt!

Für feinsinniges Pläneschmieden hatte ich weder die Zeit noch die Nerven. Ich erfaßte instinktiv, daß ich mich zwischen den Geländerstäben nur nach unten zu katapultieren brauchte, um geradewegs auf dem Kopf des Alten zu landen. Dort aufgetroffen, konnte ich mein heiliges Rachewerk in Angriff nehmen, das zunächst einmal mit dem Auskratzen seiner Augen beginnen sollte. Würde er sich bei der Abwehr ungeschickt anstellen, sah man weiter.

Mit der Wucht eines Stahlpfeils und einem wahnsinnigen Fauchen schoß ich von der Galeriekante herunter, flog in einem hohen Bogen durch die Luft, und obwohl mir dabei vor Anspannung kurzzeitig das Bewußtsein entschwand, schaffte ich tatsächlich eine punktgenaue Landung auf der silbernen Matte des alten Zottelfreaks. Er schrie so laut auf, als sei er von tausend Klapperschlangen gleichzeitig gebissen worden, und wirbelte wie ein Kreisel mit ausgebreiteten Armen mehrfach um die eigene Achse. Das Hörrohr, der Griffel und der Schreibblock flogen ihm aus den Händen, der schwarze Umhang blähte sich durch die Drehung auf wie ein Fallschirm. Er wußte nicht, wie ihm geschah. Da sich meine Krallen fest in seine Kopfhaut eingegraben hatten, liefen ihm Blutrinnsale über die Stirn und bekleckerten das gesamte Runzelgesicht. Akustisch hätte es eine Steigerung nicht mehr geben können: Das lautstarke Quäken aus den Geräten, mein wutschnaubendes Gefauche und seine verzweifelten Schreie bildeten eine infernalische Kakophonie.

Allmählich jedoch schien der alte Herr die Sachlage zu erkennen, und er griff mit beiden Händen über seinen Kopf. Ich aber arbeitete mich flugs in Richtung der Stirn, um mir von oben seine Augen vorzunehmen, bevor er mich herunterholen konnte. Zu spät! Seine Finger packten mich wie eiserne Greifer bäuchlings, und obwohl ich mich um so vehementer an der Kopfhaut festkrallte, gelang es ihm, mich von sich herunterzureißen. Schließlich hielt er mich, ein sich windendes und wild fauchendes Bündel, fest zwischen seinen Händen, so daß ich gezwungen war, ihm direkt ins Antlitz zu blicken. Gewiß, er sah mit seiner inzwischen vollkommen verwuselten Haarpracht, den schmerzverzerrten Gesichtszügen und all dem zerlaufenen Blut aus wie soeben der Hölle entstiegen. Und doch erkannte ich in dem Gesicht vollkommenes Unverständnis darüber, wieso ihm eine wildgewordene Bestie die Haut vom Kopfe fetzen wollte. Auch war sein Griff um meine Taille sanfter, als es die Situation erforderte. Er hätte mich mit Leichtigkeit zerquetschen können.

»Warum machst du das?« schrie er mich in einem ehrfurchtgebietenden Brummbaß an. In seinen blauen Kobaltaugen zuckten kleine Blitze. Die restliche zerfurchte Miene jedoch signalisierte tiefste Traurigkeit, ganz so, als hätte er einen sehr schmerzhaften Verlust zu verarbeiten. Der Scheißkerl tat mir beinahe schon leid. »Was habe ich dir getan?«

»Was du getan hast?« erwiderte ich. »Frag doch nicht so scheinheilig! Du hast die Mutter meiner künftigen Kinder gemeuchelt. Du hast meinen besten Freund hingemetzelt. Du hast alle meine Gefährten abgeschlachtet. Du bist groß und ich bin klein. Aber solange ich auch nur ein Quentchen Leben in mir spüre, werde ich dich bekämpfen, bis zum bitteren Ende.« Ich haschte mit dem Maul nach seinen Fingern und versuchte, zumindest in einen von ihnen hineinzubeißen. Doch es gelang mir nicht. Er hatte mich noch immer fest im Griff.

»Was redest du da für einen Unsinn, kleiner Freund«, sagte er, und seine Stimme wurde von Wort zu Wort milder. Sogar so etwas wie einen Anflug von Amüsement vermeinte ich in der Knitterfratze auszumachen. »Nie im Leben habe ich jemandem etwas angetan, schon gar nicht irgendwelchen hilflosen Tieren. Ich weiß gar nicht, wovon du überhaupt redest.«

»Ach nein? Wieso hat man dich dann dreißig Jahre lang in den Knast gesperrt? Etwa weil du mal einem Baby den Schnuller geklaut hast?«

»Knast? Ich war nie im Knast. Ich war ...« Er hielt mit einem Mal inne, verharrte mit dem ganzen Körper in Regungslosigkeit wie ein Roboter, der in voller Aktion jäh abgeschaltet wurde. Er sah derart verdattert aus, daß man von irreparablen Schäden in seinem ohnehin arg fehlerhaft tickenden Hirn ausgehen mußte. Die wulstigen Lippen öffneten und schlossen sich, ohne daß auch nur ein Laut hervorkam. Der Schweiß brach ihm aus. In Anbetracht dieser seltsamen Reaktion fiel ich unwillkürlich ebenfalls in eine Art Lähmung. Fünf, sechs Sekunden vergingen so, ohne daß etwas passierte. Dann lockerte er langsam den Griff um meinen Bauch. Eigentlich hätte ich ihm jetzt bequem ins Gesicht springen können. Aber eine weise, innere Stimme hielt mich davon ab.

»Was hast du eben gesagt?« wollte er schließlich wissen.

»Ich sagte ...« Jetzt war ich plötzlich der Roboter, dem man den Saft abgedreht hat. Und nicht nur das. Wie von einem Intelligenzserum gedopt, erfaßte ich nun zeitverzögert, was bei meinem Gegenüber zu einem Aussetzer geführt hatte. Die Brisanz dieser Erkenntnis war derart überwältigend, daß ich an meinem Verstand zweifelte.

Der alte Mann begann erst unmerklich, dann immer erkennbarer zu nicken, und er schaute mir dabei mit einer Ernsthaftigkeit in die Augen, die mich frösteln ließ.

»Ich sagte, daß du dreißig Jahre im Knast warst«, brachte ich endlich hervor.

»Und ich sagte, daß ich nie im Knast war ... ein richtiger Informationsaustausch ... echte Kommunikation ...«

»Wir können uns also richtig unterhalten. Unfaßbar! Dreh diesen verdammten Krach ab!«

Er setzte mich auf den Boden. Dann ging er von einem Apparat zum nächsten und schaltete sie nacheinander aus. Nachdem er auch die letzte Tonarmnadel ratschend vom Plattenteller gerissen hatte, kehrte endlich vollendete Stille ein. Er zog ein Taschentuch aus einer seiner beutelgroßen Seitentaschen, wischte sich damit das Blut vom Gesicht und näherte sich mir bedächtigen Schrittes. Da die Kon-trollämpchen und Displays an den Geräten nun nicht mehr glühten und in dem Raum auch sonst keine andere künstliche Beleuchtung existierte, wurde der Saal nur mehr vom schwachen Schein des Kaminfeuers und den brennenden Kerzen erhellt. Mit seiner ergrauten Mähne, seiner Riesenstatur und mit dem südländisch wirkenden Gesicht sah der Greis in der Tat furchteinflößend aus. Und doch strahlte er unterschwellig eine Art Weisheit, ja ein verborgenes Wissen aus, wie es manche indische Gurus tun. Er kniete sich zu mir und musterte mich lange.

»Endlich habe ich dich gefunden«, sagte er dann und tätschelte liebevoll meinen Kopf. »Jetzt brauche ich den ganzen technischen Krempel nicht mehr.«

Auf diese Gelegenheit hatte ich gewartet. Denn ich wollte wissen, wie er es tat. Hätte mir ein Spiegel zur Verfügung gestanden, dann hätte ich dabei auch gern meine eigene Physiognomie, insbesondere meine Maulpartie während des Sprechens studiert. Aber das ging momentan leider nicht. Das Objekt der Untersuchung war glasklar. Offenkundig konnte der Bursche tatsächlich mit mir sprechen – und ich mit ihm. Daß unseresgleichen die Sprache der Menschen verstehen kann, ist ja wohl kein großes Geheimnis. Und daß die Menschen durch die Jahrtausende währende Deutung unserer Lautäußerungen und die Beobachtung unseres Verhaltens ein Gefühl dafür entwickelt haben, was uns so umtreibt, bedarf auch keiner Erklärung. Doch ich wettete meinen Kopf darauf, daß bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Ohr vernommen hatte, wie ein Mensch mit einem Tier redet und umgekehrt. Was wir jetzt taten!

Ich hatte ihn, während er die letzten Worte aussprach, genau im Auge behalten. Die Worte von seinem Gesicht abgelesen, wäre vielleicht die passendere Beschreibung gewesen. Denn seine Lippen bewegten sich dabei kaum. Es handelte sich eher um so etwas wie lautes Denken, einer Kombination von sichtlichem Gedankenfassen, mimischer Reflexion desselben und halbherzigem Artikulieren. Vielleicht rührte es daher, daß er etwas schwerhörig war. Weshalb sollte er sonst ein Hörrohr benutzen? Wer weiß, vermutlich war auch etwas Ähnliches wie Gedankenübertragung im Spiel. Wie man jedenfalls die Sache auch drehte und wendete, wir konnten miteinander kommunizieren, in Worten wie von Mensch zu Mensch oder wie von meinesgleichen zu meinesgleichen, wenngleich auf eine höchst ungewöhnliche Art.

»Du willst dich also herausreden?« wollte ich wissen, weil mir in der merkwürdigen Situation nichts Gescheites einfiel.

Er machte ein Gesicht wie ein Kind, dem man gerade offenbart hat, daß Mama und Papa etwas Schmutziges tun mußten, damit es das Licht der Welt erblickte. Danach wollte er wissen, was er sich denn habe zuschulden kommen lassen, daß ich ihn derart brutal angegangen war. Ich lieferte ihm eine Kurzfassung der grausamen Ereignisse, obwohl ich mich lieber über den Umstand unserer wundersamen Verständigung ausgelassen hätte. Am Ende meiner Erzählung schien er tief betroffen, ja ich vermeinte sogar, Tränen in seinen Augen zu sehen.

»Nein, mein lieber Freund, nein«, sagte er und wirkte dabei so, als spreche er mit sich selbst. »Da hast du dir in deiner Verzweiflung den erstbesten Sündenbock aus der greifbaren Umgebung auserwählt. Ein alter Kauz in einem verwunschenen Haus, miese Gerüchte über seine Vergangenheit als Kannibale und Sträfling, und fertig ist das Monster. Dabei ist alles anders, als du denkst. Das Herz bricht mir entzwei bei der Vorstellung, wie grausam deine Lieben umkommen mußten. Zunächst möchte ich mich aber vorstellen: Ich heiße Eduard von Refizul, bin Sprachforscher. Und ich habe das Vergnügen mit... ?«

Er lächelte mich erwartungsvoll an. Ich zuckte mit den Schultern. Über einen eigenen Namen hatte ich mir bis dahin keine Gedanken gemacht. Kein Wunder, ich besaß gar keinen.

»Nenn mich einfach Dude«, sagte ich gleichgültig.

»Nun gut, Dude, dann erzähle ich dir jetzt, was es damit auf sich hat, daß wir uns miteinander unterhalten können. Ja, es ist wahr, ich habe dreißig Jahre meines Lebens in einer Institution in Unfreiheit verbracht. Ich ging als junger Mann hinein und kam als ein alter Mann zurück in das Haus meines Vaters. Dazwischen lag eine Ewigkeit. Es war eine Zeit der Verstellung, die ich wie ein Schutzschild um mich herum aufbaute, damit ich nicht in diesem Quasi-Gefängnis verrottete. Schon von früh an hatten es mir die vom Antlitz der Erde längst getilgten Völker angetan. Die alten Ägypter zum Beispiel, aber auch noch ältere wie die Sumerer in Mesopotamien viertausend Jahre vor Christus. Diese praktizierten übrigens eine der ersten Sprachen –  wenn nicht die erste –, für die eine Schrift entwickelt wurde. Doch alle diese Völker verband vor allem eines: der Kult um das Tier.«

»Kein Wunder«, schaltete ich mich ein. Endlich hatte ich ein ebenbürtiges Plappermaul gefunden, bei dem ich mit meinen unter Eloi angesammelten Wissensbrocken Eindruck schinden konnte. Ich legte mich auf den Holzboden und begann meine Pfoten glattzulecken, die von der zurückliegenden Aufregung ganz struppig geworden waren. »Diese Völker waren auch die ersten, die Tiere domestiziert haben. Zum Beispiel mein edles Geschlecht. Nutzvieh ist zwar ein von unserer Seite des Zauns betrachtet diskriminierender Begriff, doch zum ersten Mal standen sich zu jener Zeit Mensch und Tier nicht mehr als Feinde gegenüber.«

Der angejahrte Hippie klopfte sich anerkennend auf die Schenkel, erhob sich und sandte einen brüllenden Lacher gen Himmel. Dabei entblößte er ein Gebiß, das hoffnungslos gelb, ja sogar von etlichen braunen Flecken bedeckt war. Wie zur Erklärung dieses Makels kramte er im nächsten Moment aus seiner Seitentasche ein Päckchen Tabak und Blättchen heraus und begann, sich dann eine Zigarette zu drehen. Mir fiel auf, daß seine Finger wie bei einem Penner völlig nikotingelb und seine Fingernägel extrem lang, brüchig und sehr spitz gewachsen waren.

»Wußte ich's doch gleich, daß ich es bei dir mit einem Oberschlaumeier zu tun habe.« Buchstäblich im Handumdrehen hielt er eine perfekt gerollte Zigarette zwischen den Fingern. Er steckte sie sich an einer der brennenden Kerzen an. »Wärst du einer meiner Studenten gewesen, hätte ich dich Klugscheißer genannt. Natürlich nur in Gedanken.«

Er ging im Raum auf und ab und zog so heftig an der Zigarette, als müsse er in dieser Disziplin einen Weltrekord aufstellen. Dabei wirbelten die silbrigen Indianerhaare dramatisch umher. Was mich anging, hatte ich die Putzerei zwar in aller Seelenruhe auf andere Fellpartien ausgedehnt, behielt aber den irren Rentner aus den Augenwinkeln immer noch unter Beobachtung. Mein Instinkt ließ mich wissen: Trau ihm nicht! Mein Verstand sagte: Wenn ein Mensch den Doktor Dolittle gibt, hat er bestimmt Besseres zu tun, als in irgendwelche Brunnen zu kriechen und vollgedröhnte Spitzohren zu massakrieren. Kurz, ich wußte noch nicht, was ich von ihm halten sollte.

»Wie ich sehe, besitzt du einiges an Vorbildung«, sagte er. »Ungewöhnlich für deinesgleichen. Kompliment! Doch der Kult um die Kreatur, den diese untergegangenen Völker pflegten, eigentlich jeder Kult, besitzt einen lebensbezogenen, wahren Kern. Und dieser Kern kann nicht nur darin bestanden haben, daß sie damals das Tier für sich nutzbar machten. Die Sumerer jedenfalls besaßen eine weitaus intensivere Beziehung zum Tier, als es sich nur auf materieller Ebene erklären ließe. Auf einem freigelegten mächtigen Steinpfeiler fanden Forscher die Darstellung eines Mannes, eine kopflose Gestalt mit Phallus. Über der Gestalt sind riesige Geierdarstellungen eingemeißelt – Illustrationen eines gewaltsamen Todes? Wohl kaum. Denn auch in den später ausgegrabenen Darstellungen stieß man immer wieder auf kopflose Gestalten, über denen Geier schweben. Offenbar nahm der Glaube, daß die Vögel den Körper der Toten ins Jenseits tragen, schon in früher Zeit seinen Anfang. Damals ...«

Er machte eine bühnenreife Kunstpause und sog an der bis auf einen Zentimeter heruntergerauchten Filterlosen, von der Aschebrocken fielen. »Damals schienen die Menschen mit den Tieren tatsächlich gesprochen zu haben. Beide Parteien vermochten in die Gedankenwelt des jeweils anderen einzutauchen. Irgendwann verlor sich diese Gabe. Die Sprachverwirrung in Babylon, wie sie uns die Bibel lehrt, bezieht sich vermutlich auf eine ganz andere Kommunikationsentfremdung als nur auf die unter den Menschen. Ich jedenfalls war stets mit der Frage beschäftigt, ob ein sprachlicher Austausch zwischen Mensch und Tier möglich sei. Ich meine damit nicht das Put-put-put! mit Hühnern oder das Hasso-sitz! mit des Menschen bestem Freund. Ich rede hier von echter Sprache, von mündlichem Informationsaustausch. Man hat mich für verrückt gehalten. Mit Tieren könne man nicht reden, hieß es. Und die Leute hatten auf ihre bornierte Art recht. Mir gelang es ja selber nicht. Und doch habe ich mit allen Mitteln versucht, einen Zugang zu eurer Sprache zu finden. All die Hilfsmittel, die du hier siehst, zeugen davon.«

Er vollführte mit dem linken Arm eine Geste in Richtung seines audiovisuellen Instrumentariums. Dann schritt er an den einzelnen Geräten entlang und schaltete sie nacheinander wieder ein. Auf den Monitoren erschienen erneut Paviane, deren aufgeregte Schreie einem undurchsichtigen Modulationsmuster gehorchten, aus den Kassettenrecordern erklang Vogelgezwitscher vielfältiger Art, die Schallplatten wiederholten die sich bizarr anhörenden Übungen für Sprachgestörte, und von den Tonbändern vernahm man das geheimnisvolle Fiepen und Kiecksen von Kreaturen, die selbst ich kaum einer Gattung zuzuordnen vermochte. Der Alte hatte sich wahrhaftig in die Materie hineingekniet. Fragte sich bloß, was er in all den Jahren der Isolation in dieser Institution ohne den ganzen technischen Kram angestellt hatte.

»Okay, Refizul.« Ich stand auf und folgte ihm. »Du wolltest unbedingt beweisen, daß man auch mit Ameisenbären einen gepflegten Plausch halten kann. Und das ist dir ja endlich gelungen. Es ist jetzt offenkundig, daß du diese verschüttete Gabe besitzt. Wieso und warum, ist mir allerdings schleierhaft. Aber da ist ein kleiner Haken an deiner Geschichte. Man sperrt jemanden nicht dreißig Jahre ein, nur weil er sich bemüht, mit anderen Arten auf sprachlicher Ebene in Kontakt zu treten.«

»Bist du dir da so sicher?« Er drehte sich auf dem Absatz zu mir herum, wobei sich der weite Umhang wieder so aufplusterte, als habe sein Träger den Kopf durch die obere Öffnung eines Zirkuszeltes gesteckt. »Glaubst du wirklich, daß sich das Wertesystem der heutigen Welt noch so aufrechterhalten ließe, wenn es tatsächlich eine Kommunikation zwischen Mensch und Tier gäbe?«

»Wie meinst du das?«

»Nun, was macht ein Bauer, mit dem seine Schweine plötzlich reden? Oder seine Rinder, seine Schafe, seine Hühner? Bringt er sie dann trotzdem ruhigen Gewissens zum Schlachter? Man stelle sich die Situation einmal bildlich vor: Wenn er die Tiere an dem entscheidenden Tag in den Viehtransporter treibt, spüren die Opfer allmählich ihr Bestimmungsziel, sie werden immer unruhiger, tuscheln mit zittrigen Stimmen, fassen schließlich ihr blankes Entsetzen laut in Worte ...«

Mir fiel der Unterkiefer herunter. Über diese Konsequenz hatte ich bis jetzt noch gar nicht nachgedacht.

Refizul lächelte, er genoß sichtlich den Umstand, daß er mir gedanklich ein paar Schritte voraus war. »Die Sprache vermenschlicht den anderen und verwandelt selbst das fremdartigste Wesen in eine gleichberechtigte Person. Wie würde sich solch eine revolutionäre Veränderung auf die moralischen Fundamente auswirken? Vor allem aber auf die Geschäfte? Ist einem Lastwagenfahrer sein Job überhaupt zuzumuten, wenn er aus dem vollgepferchten Auflieger hinten statt diffusem Muhen und Blöcken ständig die Schmerzens- und Hilfeschreie der geschundenen Kreaturen hört und sie auch noch versteht? Was macht der Herr Professor im Versuchslabor, wenn ihm der Affe, den er regelmäßig mit irgendwelchen Medikamenten und Chemikalien traktiert, offen ins Gesicht fragt, ob er sich für diese an ihm begangenen Verbrechen nicht schäme? Und was wird aus dem Industrieboß, der bei Fleisch nur an Profit und Absatzmärkte denkt, wenn seine Konsumenten sich von der Ware Tier abwenden? Ach, und noch etwas: Was passiert, wenn Vierbeiner ihre Rechte vor Gerichten erstreiten wollen, die sie nunmehr im Wortlaut erfassen? Nein, die direkte Rede mit Tieren hätte Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, die man sich nicht auszudenken vermag. Denn damit wäre bewiesen, daß auch Tiere eine Seele besitzen.«

»Mit Verlaub«, sagte ich, »aber offen gesagt bin ich auch nicht gerade Vegetarier.«

»Weil es deine Natur ist. Aber der Mensch hat sich von seiner, von jeglicher Natur so weit entfernt wie ein erkalteter Planet von der Sonne. Damals wie heute will man unbedingt verhindern, daß jemand die Sprache der Tiere beherrscht und diese Kunst dann verbreitet.«

»Wer ist man?«

»Nun, laß deiner Phantasie bei der Beantwortung dieser Frage freien Lauf. Ein paar Kreise, die an so einer ungemütlichen Sache alles andere als interessiert sind, habe ich ja schon genannt. Doch so schlau, wie du bist, fallen dir bestimmt noch ein paar andere ein. Auf deren Druck hin wurde ich vor dreißig Jahren aus dem Verkehr gezogen.«

»Puh!« Ich trottete nachdenklich zu ihm und setzte mich zu seinen Füßen auf die Hinterbeine. Unterdessen begann er, sich eine neue Zigarette zu drehen. »Zwei Dinge kapiere ich allerdings immer noch nicht, Refizul. Wieso bist du der einzige Mensch, der mit mir reden kann? Und obwohl dein Lebensziel allein aus der Verwirklichung dieses einen Ziels bestand, hast du nicht gerade einen Freudentanz aufgeführt, als der Fall eintrat. Ich meine, köpfen Menschen bei derart sensationellen Erfolgen nicht die beste Flasche Champagner oder rufen ersatzweise irgendeinen Sender an, um sich den nächsten Nobelpreis zu sichern?«

Wieder steckte er sich die Selbstgedrehte an einer brennenden Kerze an und atmete den Rauch genüßlich aus. »Ich bin bestimmt nicht der einzige Mensch, der die Sprache der Tiere beherrscht. Sonst hätte ich meinen Kampf schon längst aufgegeben. Nein, mein Lieber, jeder Mensch kann es. Wir alle sind Geschöpfe dieser einen Welt, und einst verstanden wir einander, in Eintracht und gegenseitiger Achtung. Aber dann ... irgend etwas muß passiert sein, eine Art Sündenfall, der uns geistig und sprachlich voneinander trennte. Man muß die Menschen wieder für die Tiere sensibilisieren, für ihre Sprache, aber auch für ihre Würde. Deshalb hat sich meine Überraschung auch in Grenzen gehalten, als mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung ging. Weshalb sollte ich von etwas über die Maßen überrascht sein, das ich die ganze Zeit erwartet habe?«

»Da fällt mir noch etwas ein«, sagte ich. »Ich glaube, daß ich es in einem uralten Buch aufgeschnappt habe. Waren diese Sumerer nicht das Völkchen, das auch die Figur des Teufels erfunden hat?«

»Ja, aber das ist eine andere Geschichte, die ...«

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, und zwar mit einem solch ohrenbetäubenden Rumms, daß ich vor Schreck wie ein gezündeter Böller senkrecht nach oben schoß. Ein Poltern erfüllte den ganzen Raum. Refizul und ich fuhren herum in Richtung des Lärms. Zwei Männer standen in der aufgetretenen Tür vor der tiefblauen Sommernacht, durch die das Licht der glänzenden Sterne hereinschien.

Der eine war ein Brocken von einem Kerl. Es war schwer zu unterscheiden, ob es sich bei dem Typ mit der Statur eines Ochsen um einen Übergewichtigen handelte oder um einen verkappten Kugelstoßer, dessen Muskelpakete ins Animalische ausgeartet waren. Er besaß einen kantigen, schwarzhaarigen Schädel, der ohne Hals direkt in einen panzerartigen Körper überging. Sein aufgedunsenes Gesicht war übersät von Pockennarben, sein durch dunkle Pupillen ausgesandter Blick konnte gewiß glühenden Stahl zum Vereisen bringen. Arme und Beine hatten den Umfang von Baumstämmen, und es hätte mich nicht gewundert, wenn er in seiner Freizeit zur Entspannung krachend mit den wurstigen Fingern geknackt hätte. Ihn als »brachial« zu beschreiben wäre eine glatte Untertreibung gewesen.

Der andere schien den vollkommenen Gegensatz darzustellen, machte jedoch mitnichten einen weniger abstoßenden Eindruck. Der extrem schmale Lulatsch mit den starren Augen einer Leiche war so blaß, daß nicht einmal der warme Schein aus dem Kamin etwas zur Intensivierung seiner Gesichtsfarbe beitragen konnte. Der Kopf besaß die Form einer längs liegenden Honigmelone, die großen, abstehenden Ohren verliehen ihm etwas von einem geschrumpften Elefanten. Die gesamte Physiognomie wirkte geradeso, als wäre sie von einer Vakuumpumpe nach innen gesogen worden.

Die beiden trugen blütenweiße Kittel wie Ärzte, bloß daß diese eher Dienstuniformen ähnelten. Der Dünne schwenkte in der Hand eine Art Jacke, ebenfalls weiß, allerdings offenbar aus strapazierfähigem Segeltuch geschneidert und mit absonderlichen Ärmeln, aus denen seilartige Bänder wuchsen. Der panzerartige Kerl warf mir einen amüsierten Blick zu und stampfte dann mit dröhnendem Schritt auf Refizul zu.

»Na Refi, hast du wieder einen behaarten Kameraden gefunden, mit dem du ein Schwätzchen halten kannst?« Er schaute dem Alten mit solch arroganter Ironie ins Gesicht, als habe er ein schwachsinniges Kind vor sich. Refizul drehte den Kopf zu mir und schaute mich resigniert an, als wolle er sagen: Was habe ich dir gesagt?

»Kümmere dich um den Kleinen, Zack«, befahl der Panzermann dem Schmalen. »Ich glaube, den können wir im Bunker gut brauchen.«

Bevor ich wußte, wie mir geschah, stand Zack schon bei mir, packte mich am Nacken, hob mich hoch und umklammerte mich fest. Dann schleuderte er die weiße Jacke zu seinem Kumpel. Der knöpfte bereits den düsteren Umhang von Refizul auf, worunter der arme Mann nichts weiter als lange Opa-Unterwäsche trug.

»Aber wieso denn?« protestierte er, während er sich auf diese würdelose Art ausziehen ließ. »Ich wurde als geheilt entlassen. Da drüben irgendwo müssen die Entlassungspapiere liegen. Dreißig Jahre sind genug. Ich kann nicht wieder in den Bunker zurück.«

»Jetzt krieg hier keinen Zusammenbruch, Refi. Denk an deine Pumpe«, sagte der Panzermann im beruhigenden und doch höhnenden Tonfall. Er hatte inzwischen Refizul komplett ausgezogen und stülpte ihm von vorne die weiße Jacke über. Der Alte ließ es sich gefallen, was von großer Weisheit zeugte, hätte sein Peiniger ihm doch bei geringster Gegenwehr mit bloßen Händen das Genick brechen können. »Von geheilt war nie die Rede. Sagen wir mal so: Wenn du ein Verbrechen begangen hättest, wäre der Begriff ›auf Bewährung‹ bei deiner Entlassung zutreffend gewesen. Aber das hast du ja nicht. Davon gehe ich jedenfalls aus. Hat dich der Oberdoc nicht tausendmal ermahnt, daß du immer die gelben Pillen nehmen sollst?« Er schnalzte dreimal kurz mit der Zunge. Dann ergriff er die langen Enden der Jackenärmel und verschnürte Refizul damit, so daß dessen Arme vor der Brust über Kreuz festgezurrt wurden.

»Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen«, beteuerte er kraftlos.

»Doch, doch, das hast du, Refi«, sagte der Panzermann, packte ihn am Nacken und führte ihn zur Tür. Zack und ich in seinen Klauen folgten den beiden. »Schau dir doch mal den Schrott an, den du dir wieder zusammengeklaubt hast. Sieht aus wie das Labor — eines Bekloppten? Willst wieder mit Füchsen und Eulen reden, was? Ich glaube, wir müssen dich noch ein paar Jährchen weiter heilen. Danach bist du eh reif für die Pflege.«

Draußen etwas abseits der Villa parkte ein schwarzer Kastenwagen, dessen doppelflüglige Hecktür der Panzermann mit einem Handgriff öffnete. Er stieß den Alten hinein, und ich flog aus Zacks sensiblen Händen hinterher. Obwohl es drinnen ziemlich düster war, merkte ich schnell, daß wir uns in einer Art Zelle befanden. Allein ein enger, vergitterter Sehschlitz erlaubte etwas Einblick in die Fahrerkabine. Seitlich gab es zwei karge Bänke zum Sitzen. Decke und Wände waren mit einer harten Gummischicht gepolstert, in Abständen baumelten Gurte und Riemen zum Festbinden der »Fahrgäste«.

»Ich muß dir etwas gestehen, lieber Freund«, sagte Refizul, als unsere fürsorglichen Helfer vorne eingestiegen waren und den Wagen starteten. Er sah in seiner blöden Jacke mit den über Kreuz verbundenen Armen lächerlich und mitleiderregend zugleich aus. »Ein Kannibale bin ich wohl nicht, und auch kein Mörder oder Sadist. Aber dort, wo wir nun hingebracht werden, wimmelt es nur so von derlei freundlichen Zeitgenossen. Es ist nämlich ...«

»... eines der schlimmsten Irrenhäuser im Lande!« ergänzte ich und seufzte.